Bildungselemente

Workshop zu Ungleichheitsideologien

5.2.2023

Ich habe einen Workshop zu Ungleichheitsideologien vorbereitet, der sich an pädagogische Fachkräfte richtet. Es sollten Hintergründe betrachtet und Anti-bias-Methoden erlebt werden. Ziele sind die Sensibilisierung für Ungleichheitsideologien in der Seminararbeit und das Kennenlernen von konkreten Methoden, die auf einem positiven Verständnis von Vielfalt aufbauen. Es ist ein Programm entstanden, das aus fünf Teilen besteht. Diese Teile bauen aufeinander auf, sind aber auch unabhängig voneinander nutzbar.

Die Folien (reveal.js) sind hier veröffentlicht:

Folien (online) Folien (zip)

Die Folien sind mit reveal.js erstellt. Wer mit reveal.js nicht vertraut ist, kann sich mit dem *?* auf der Tastatur die wichtigsten Funktionen anschauen oder auf der Projektseite einlesen. Die Basics sind aber selbsterklärend. Wer die Folien herunterladen möchte, findet hier auch eine entsprechende zip-Datei. Sie enthalten ausführliche Sprecher*innen-Notizen (S auf der Tastatur drücken für die Sprecher*innen-Ansicht). Der Workshop lässt sich also gut nur mithilfe der Notizen in der Präsentation moderieren.

  • Den zip-Ordner entpacken
  • reveal.js herunterladen, entpackten Ordner parallel zum ismen-Ordner speicher, also so:
|- dein Ordner im Filesystem
     |- ismen
      |- ...
     |- reveal.js
      |- ...

Für die volle Funktionalität musst du innerhalb von reveal.js noch folgende Plugins installieren (einfach in den Plugin-Ordner entpacken, Verweise sind in der Präsentation bereits enthalten):



Zusätzlich braucht es noch ein paar Texte bzw. Bücher:

  • Foucault, M. (1989). Der Wille zum Wissen. 3. Aufl. suhrkamp. Frankfurt am Main.
  • Foucault, M. (2021). Analytik der Macht. 9. Aufl. suhrkamp. Frankfurt am Main.
  • Ogette, T. (2021). exit RACISM. rassismuskritisch denken lernen. 10. Aufl. Unrast Verlag.

Kapitel 0: Disclaimer

Nicht jede Gruppenkonstellation eignet sich für die thematische Auseinandersetzung mit Machtstrukturen, Diskriminierung und Missbrauch. Es braucht ein vertrauensvolles Arbeitsklima und eine eingespielte Offenheit für Feedback, damit persönliche Grenzen und Verletzungen gesagt und gehört werden können. Ich mache zu Beginn außerdem sichtbar, dass wir nun über ein Thema sprechen, das uns überraschen und überrumpeln kann und welches für alle eine unterschiedliche Bedeutung hat. Es kann sehr gut tun eine Gruppe zu haben, in der ich offen Diskriminierungsmerkmale ansprechen kann. Es sollte dabei aber allen klar sein, dass wir dadurch Vorurteile reproduzieren und potentiell andere Menschen verletzen. Es kann helfen Gruppen schon zu Beginn darauf hinzuweisen, dass es hilfreich ist zunächst oder ebenso über Privilegien zu sprechen. Diese sind nicht verletzend und wir entlarven dadurch gelernte Machtstrukturen. Im Kapitel 0 geht es also nur um das Sensibilisieren der Gruppe. Dabei sollte darauf geachtet werden, ob es Vorbehalte oder besondere Ansprüche von den Teilnehmenden gibt.

Kapitel 1: Einstieg

Der Einstieg besteht aus einer aktivierenden Frage, die die Stimmung und die Vorkenntnisse der Gruppe sichtbar machen kann. Die Ergebnisse können auf Moderationskarten oder auf einer virtuellen Tafel gesammelt werden. Wir hatten hierzu in die Präsentation ein oncoo-Board eingebettet. Die kurze Übung ist auch ein Gradmesser für die Stimmung in der Gruppe und für den Umgang mit dem Thema. Ggf. kann mit den Ergebnissen auch nochmal auf den Disclaimer geschaut werden, wenn die Rückmeldungen hier schon verletzend oder unachtsam sind. In der Regel wird bei der Abfrage ein bunter Mix mit einigen Facetten entstehen. Die Ergebnisse können zusammen betrachtet werden. Vielleicht besteht auch der Wunsch sie etwas zu ordnen.

Um ein Gefühl für die Art der Rückmeldungen zu bekommen, fasse ich hier mal das oncoo-Board unseres Workshops zusammen. Es gab in meinen Augen zwei grobe Arten von Resonanzen. Es gab Resonanzen, die versuchen die Sache zu beschreiben und es gab Resonanzen, die sich eher mit der Wirkung beschäftigen:

Eher eine Beschreibung:

  • eine Ideologie nach der Menschen aufgrund verschiedener Merkmale wie Hautfarbe, Religion und noch vielen mehr diskriminiert werden.
  • Diskriminierung
  • Diskriminierung aufgrund der Ethnie/ Herkunft
  • Nicht auf Nationalität beschränkt
  • Überall
  • im Alltag
  • Nicht auf Hautfarbe beschränkt
  • Vielseitig
  • Vorurteilsbehaftet
  • verbunden mit Macht

Eher eine Wirkung:

  • in viele Richtungen vertreten (kulturell, religiös, ethnisch)
  • Gewalt
  • Für viele alltäglich
  • alltäglich
  • oberflächliche Schikane
  • Ausgrenzend
  • Diskussionen vorprogrammiert

Als drittes gab es noch Resonanzen, die eine Betroffenheit ausdrücken oder die eine Stimmung oder Gefühl wiedergeben:

  • Unbewusst auch bei mir vorhanden
  • widerlich
  • uncool
  • blöd
  • verletzend

In der Zusammenstellung wird mir deutlich, dass viele Assoziationen und Vorkenntnisse vorhanden sind. Es gibt aber auch Rückmeldungen, wo sich vielleicht eine Nachfrage für eine bessere Einordnung lohnt. Die Ergebnisse sollten aber nicht überinterpretiert werden, es ging ja um einen ersten Bezug.

Kapitel 2: Happyland

Die Happyland-Metapher von Tupoka Ogette ist eine Wucht: Sie verurteilt nicht, argumentiert aus einer Betroffenheit und ist sehr leicht verständlich. Ich will sie hier gar nicht ausrollen, lest das Buch. Die Folien 3.1 - 3.4. begleiten die Beschäftigung mit dem Happyland-Kapitel aus dem Buch. Dabei wird das Kapitel gemeinsam mit der Gruppe gelesen. Die Folien unterstützen durch ausgewählte Zitate. Diese Form der Darbietung ist schon etwas anspruchsvoll. Für Gruppen, die nicht so sehr im hörenden Textverständnis geübt sind oder in denen die Deutsch-Sprachkenntnisse sehr unterschiedlich ausgeprägt sind, gibt es bestimmt bessere Varianten der Beschäftigung. In unserem Fall ging das so sehr gut. Im Anschluss wird die Gruppe mit den Reflexionsfragen aus dem Buch (Folie 3.4) konfrontiert. Unsere Gruppe ist in Stille geübt, ich finde hier eine bewusste Stille hilfreich passend, während der jede*r für sich sein kann. Anderen Gruppen hilft dabei vielleicht leise Instrumentalmusik.

An dieser Stelle würde ich, je nach Gruppe, nochmal eine Zusammenfassung oder eine Blitzlichtrunde einfügen, um Gedanken loszuwerden oder Fragen zu stellen. Wir haben das nicht gebraucht und sind direkt zum nächsten Schritt gegangen.

Der nächste Schritt führt uns etwas weg vom Buch und stellt schon einen Transfer dar. Die Gruppe wird gebeten in Kleingruppen die Schlussfolgerung aus dem Happyland auf andere Ungleichheitsideologien zu übertragen und zu überprüfen. Entweder werden dazu andere Ungleichheitsideologien gesammelt oder es wird die Liste auf S. 3.6. zur Hilfe genommen. An diesem Punkt habe ich unsere Gruppe etwas überschätzt: Es gab hier eine größere Unkenntnis über die einzelnen Ungleichheitsideologien und es war notwendig ein gemeinsames Verständnis herzustellen. Wir hatten dazu die tabellarische Übersicht aus der Quelle zur Hand, das war sehr hilfreich.

In den Kleingruppen wird schnell auffallen, dass die Ungleichheitsideologien alle vergleichbare Mechanismen aufweisen. Hier ist es hilfreich den Kleingruppen mit Expert*innenwissen zu helfen und auf blinde Flecken zu stoßen. Denn die ismen sind unterschiedlich verbreitet und die gesetzten Grenzen sind verschieden stark. Einige Ungleicheitsideologien wecken größere Empörung, als andere. Gerade diese Gefühle können in den Kleingruppen produktiv genutzt werden und mit der Happylandmetapher sehr persönlich reflektiert werden. Hierzu zwei Beispiele: Die Ungleicheitsideologie Behindertenfeindlichkeit wird meiner Erfahrung nach eher als nicht mehr so stark oder anders abgetan. Es wird auch schnell eine Diskussion über Barrierefreiheit im öffentlichen Raum geführt. Das ist auch nicht falsch, geht die Ideologie aber nicht im Kern an. Menschen mit Behinderung wird in Teilen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht ermöglicht. Zudem erhöht eine Behinderung die Wahrscheinlichkeit Betroffene*r von Gewalt und Missbrauch zu werden, weil diese Gruppen von Menschen einfach weniger Schutz und weniger Gehör erfahren. Ein anderes Beispiel ist die Ungleichheitsideologie des Klassismus. Hier kann es in Gruppen schnell zu Selfmade- und Tellerwäscher*innen-Erzählungen kommen. Auch das soll nicht falsch sein, es wird dann aber über die Ausnahme debattiert, die die Regel bestätigt. Auch hier ist das Stichwort Teilhabe hilfreich: Wie werden Menschen ohne finanzielle Mittel und unterhalb der sog. Armutsgrenze von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen, welche Privilegien leistet sich die Mittelschicht und die Reichsten.

Kapitel 3: Rassismus in Deutschland

Nach der Happyland-Metapher mit persönlichen Reflexionsanteilen, geht es im Kapitel 3 in die Analyse von Beispielen. Den Übergang haben wir mit einem Vortrag von Mark Terkessidis gestaltet, der über strukturellen Rassismus in Deutschland referiert und dabei einige Schlaglichter nennt. Neben der Feststellung, dass Rassismus immer strukturell vorhanden ist, gibt er uns im Vortrag zwei Konzepte an die Hand: Rassistisches Wissen und die Banalität des Rassismus. Auf S. 4.2 finden diese drei zentralen Annahmen nochmal einen Raum und können mit der Gruppe besprochen werden. Hierzu stehen drei Fragen zur Verfügung, die letzte fordert auch zu einem Vergleich mit der Happyland-Metapher auf. In unserer Durchführung war dieser Schritt wichtig. Denn so wurden jüngste Ereignisse der deutschen Geschichte mit dem Blick auf strukturellen Rassismus reflektiert. Die beiden Konzepte waren für die Gruppe hilfreich und es sind spontan Schaubilder dazu entstanden.

Ab S. 4.3 wird der Quarks-Beitrag Rassismus im Bus besprochen. Vorweg: Es geht nicht darum den Beitrag zu zerreißen oder schlechter zu machen, als er ist. Er ist dennoch ein gutes Beispiel dafür, dass Rassismus häufig nicht als strukturelles Problem begriffen wird. Um das mit der Gruppe herauszuarbeiten, stehen auf den S. 4.4-4.7 die Zitate aus den Abschlussstatement zur Verfügung. Zur Analyse stehen nun mindestens die Happyland-Metapher, das Rassistische Wissen und die Banalität des Rassismus zur Verfügung. Bei der Besprechung können die Zitate auch dahingehend untersucht werden, ob und wie andere Ungleichheitsideologien bedient werden.

Kapitel 4: Anti-bias-Ansatz

Im vierten Kapitel geht es nur um das Kennenlernen des Anti-bias-Ansatzes. Für die Fachkräfte war das auf einer meta-Ebene interessant, hier könnten auch gut Anti-bias-Übungen ohne diese Ebene durchgeführt werden. Auch bei den Fachkräften stand das Erleben und nicht die pädagogische Einbettung im Fokus. Nach einer ganz knappen Einführung, geht es auch schon mit den drei Übungen los:

  • Namenkreis, eine Stellübung als Impuls
  • Namensrunde, eine Austauschübung
  • Schimpfwörter sammeln, eine Transferübung

In der Vorbereitung bin ich auf diesen Reader gestoßen, der frei im Netz steht:

Wie Vielfalt Schule machen kann

Hier sind eine Vielzahl von Übungen enthalten, die auch außerhalb der Zielgruppe angewendet werden können (ggf. in abgewandelter Form). Die Autor*innen sind zudem gute Adressen, die gezielter bei dem Thema unterstützen können.

Kapitel 5: Macht

Dieses Kapitel sollte eigentlich viel früher kommen. Wir haben es aber aus Zeitgründen übersprungen, eigentlich sollte es sich an die Happyland-Metapher anschließen. Bei eben dieser gibt es viele Bezüge zur Macht. Deshalb fand ich diesen kurzen Exkurs passend. Die Methodik ist nicht so inspirierend, Kleingruppen beschäftigen sich mit einem Zitat, indem sie dieses und den Kontext erhalten und fassen die Aussagen fürs Plenum zusammen. Nach meiner Einschätzung können die Texte für sich gelesen werden, obwohl Macht bei Foucault ein lebensbegleitendes und sich entwickelndes Konzept ist. Gelingt es der Gruppe die Chancen und Risiken von Macht herauszuarbeiten, kann eine Einordnung auf das Happyland und Ungleichheitsideologien entwickelt werden.

Benötigte Foucault-Texte:

  • Der Wille zum Wissen, Kap. IV.2 Methode, in der 3. Auflage suhrkamp von 1989 sind das die Seiten 113-124.
  • Analytik der Macht, Aufsatz: Subjekt und Macht, Abschnitt: Wie wird Macht ausgeübt, in der 9. Auflage surhkampvon 2021 sind das die Seiten 251-263.

Fazit

Der Workshop hat viel positives Feedback bekommen. Es wurde als Ausgangspunkt für weitere Auseinandersetzungen bewertet, was für mich immer ein gutes Zeichen ist. Der Transfer für die eigene Arbeit obliegt den Teilnehmer*innen. Hierfür könnte insbesondere im Anti-bias-Kapitel noch mehr Raum eingeplant werden. Was definitiv ergänzt werden könnte, wäre ein Expert*innen-Gespräch.
Fun fact: Die erste Durchführung konnte ich gar nicht selbst anleiten, weil ich krank im Bett lag. Kolleginnen haben den Job übernommen, was mit einem kurzen Briefing und der Vorbereitung in Form der Präsentation auch sehr gut geklappt hat.