Digitale Bildung
16.2.2019
Begrifflichkeiten
Ich nehme in der aktuellen Diskussion um Bildung verschiedene Begriffe wahr, die versuchen den Bildungsbegriff an die Bedingungen und Erfordernisse der Zeit anzupassen. Häufig bemüht ist dabei der Begriff der Digitalen Bildung. Meinungsstark wird er unter anderem vom Netzwerk Digitale Bildung postuliert.
Einem Netzwerk, dass sich für Wandel in Bildungssystemen stark machen möchte und Hilfestellungen und Methoden zur Verfügung stellt. Die Inhalte werden von nicht-kommerziellen Partnern bereitgestellt, getragen wird das Netzwerk aber von nicht transparent dargestellten Wirtschaftsunternehmen. In dem Handout “Zwischen analog und digital – Lernen und Lehren an Schulen und Hochschulen” ist ein Definitionsversuch von Digitale Bildung zu finden. Vorweg: Ich habe einige Schwierigkeiten mit dem Begriff der Digitalen Bildung. Er erscheint mir nicht zielführend und geradezu überflüssig. Bildung beschreibt einen Prozess, durch den Menschen ihre eigene Mündigkeit entfalten können, sich die Eigenschaften der Welt zunutze machen und ein eigenes, (für sie) funktionales Bild von der Welt entwickeln, durch das sie zu einem Subjekt werden, dass in größtmöglicher Autonomie handeln kann. Nach dieser etwas freien Kurzdefinition von Bildung, reagieren Bildungsprozesse per se auf “die Welt”, also auf äußere Gegebenheiten. Die digitale Transformation verändert die Grundbedingungen der Welt – und zwar fundamental – aber verändert sie dadurch einen Prozess, der dem Menschen innewohnt?
Ich versuche meine Vorbehalte gegenüber der Wortschöpfung anhand des vorliegenden Definitionsversuches zu verdeutlichen. Alle Quellenangaben beziehen sich auf das oben beschriebene Dokument.
Notwendigkeit
»während Digitale Bildung weitere Dimensionen des gesamten Lernprozesses umfasst.«
Die Notwendigkeit für einen neuen Begriff wird u.a. damit begründet, dass sich der lange Zeit bemühte Begriff des E-Learning zu sehr auf die technische Umsetzung und das Lernen mit elektronischen Hilfsmitteln beschränke. Der Begriff der Digitalen Bildung sei mehrdimensional und beschäftige sich mit dem gesamten Lernprozess.
Ich nehme ebenfalls wahr, dass viele Lehrende E-Learning sehr mit der reinen Verwendung von Tools gleichsetzen und die Beschäftigung mit dahinterliegende Lernprozessen außen vor bleibt. Das finde ich einerseits ok, denn Experimentieren kann zu neuen (positiven) Erfahrungen führen und die Offenheit gegenüber Methoden fördern. Der zweite Schritt (der danach zum wichtigeren werden sollte) ist aber die Beschäftigung mit der Theorie, wie Tools und Methoden Lernende ansprechen, fördern und Lernprozesse begleiten können. Der Begriff der Digitalen Bildung umfasst also weitere Dimensionen des Lernprozess, was zu begrüßen ist.
Veränderte Welt
»Bildung ist ein kontinuierlicher Prozess, der Menschen befähigt, ihr Leben und Lernen in einer digitalisierten Welt aktiv zu gestalten. Dabei geht es nicht mehr um den Erwerb von Faktenwissen – viel bedeutender wird die Kompetenz, sich Wissen selbstorganisiert anzueignen, es anzuwenden und kreative Lösungen für Problemstellungen eigenständig entwickeln zu können«
Wir leben in einer digitalisierten Welt – einverstanden. Ich wage die These, dass es Lebensbereiche gibt, die derzeit stärker von der Digitalisierung betroffen sind und Lebensbereiche, die davon nicht, bzw. weniger stark betroffen sind. Die im Zitat getroffene Einschränkung der “digitalisierten Welt” ist zu hinterfragen. Bildung umfasst schließlich alle Lebensbereiche, die sich für jedes Individuum ander ordnen und darstellen.
Der zweite Schluss hat für mich wenig mit Digitalisierung zu tun. Bildung hat von Humboldt an wenig mit dem reinen Erwerb von Fakten zu tun, sondern bezog sich schon immer auf die Aneignung der Welt, die Mensch-Werdung, das Anwendung von Wissen und das aktive Lösen von Problemen. Die Digitalisierung bringt zwar viele Veränderungen mit sich, die für das aktive Problemlösen und kreative Arbeiten folgenreich sind (allein was die Verfügbarkeit von Informationen, Ressourcen und Netzwerken angeht), doch erfindet sie diese innerhalb von Bildungsprozessen nicht neu. Auch die Entwicklung pädagogischer Theorien und Konzepte widerspricht dieser Schlussfolgerung, die geradezu als Affront gegen die Reformpädagogik gesehen werden könnte.
Bildungsprozess
»Folgende Elemente machen den Prozess der Digitalen Bildung aus:
- Das Wissen über und der Umgang mit digitalen Medien, die für den Lernprozess in einer digitalisierten Welt grundlegende Voraussetzungen mitbringen: Sie ermöglichen eigenständiges sowie kollaboratves Lernen, zeit- und ortsunabhängig, geben dem Lernenden unmittelbar Feedback und lassen sich an individuelle Lernvoraussetzungen und -bedürfnisse anpassen.
- Spezifische Methoden für das Lernen mit digitalen Medien und Inhalten.
- Inhalte, die auf das Leben in einer digitalisierten Welt abgestimmt sind.
- Eine veränderte Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden, in der die Rolle der Lehrkräfte sich wandelt von allwissenden Wissensvermittlern zu Lerncoaches, die den Erwerb von Wissen begleiten und unterstützen.«
In aller Kürze ein Kommentar zu den Elementen des Prozesses der Digitalen Bildung:
- Das erste Element beschreibt die Schaffung von Grundvoraussetzungen zur gesellschaftlichen Teilhabe – digital ist das erstmal nicht. Die Faktoren der Unabhängigkeit von Zeit- und Ort, unmittelbares Feedback und Instruktionsanpassungen über Algorithmen sind Phänomene und Chancen der Digitalisierung, die Konsequenzen für die Gestaltung von Bildungsprozessen haben, den Bildungsbegriff aber nicht verändert.
- Das zweite Element beschreibt wohl das als nicht-zeitgemäß beschriebene E-Learning, untermalt mit theoretisch fundiertem Methodenwissen.
- Der Lebensweltbezug ist seit jeher der Kern von Bildung.
- Die Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden ist ein uraltes pädagogisches Thema, dass in vielen Epochen beschrieben und diskutiert wurde. Das deutsche Schulsystem bedient strukturell immer noch die Rolle der Wissensvermittler. Es ist demnach eine Frage des persönlichen Mindsets von Lehrenden und eine strukturelle Frage. Auch in diesem Punkt ist kein “Digital” notwendig.
Fazit
Digitale Bildung erscheint nach der Definition des Netzwerks Digitale Bildung eher eine politische, als fachliche Dimension zu haben. Mit der Ergänzung Digital werden eher aktuelle Anforderungen und Herausforderungen an die Begleitung und Gestaltung von Bildungsprozessen betont, sie ergänzt oder entwickelt den Bildungsbegriff aber nicht weiter.
Vielversprechender finde ich den Ansatz des Bildungsministeriums, die im Zuge des DigitalPakts Schule von digitalen Kompetenzen sprechen, auf die das Bildungssystem (und vermutlich auch individuelle Bildungsprozesse) eine Antwort finden müssen. Der Bildungsbegriff muss frei bleiben von Beschreibungen der äußeren Umstände, auch wenn diese fundamentale Änderungen mit sich bringen. Und ich finde es nachvollziehbar, dass der Begriff Digitale Bildung einen gewissen Charme versprüht. Dieser verfliegt allerdings schnell, wenn man versucht ein zeitgeschichtliches Pendant zu finde, wie z.B. Industrielle Bildung. Das klingt wenig ansprechend.
Statt den Bildungsbegriff neu zu erfinden, sollte eine Fokussierung auf den bildungspolitischen und -praktischen Umgang mit der digitalen Transformation stattfinden.
Lizenz für den Text
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